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Föderation DE Fr 14.03.2025 17:27:24

Soziales Lernen im Kontext von KI

Soziales Lernen wird in einer zunehmend komplexen Welt wichtiger. Es braucht hier vielfältige Perspektiven und Austausch, um gemeinsam kreative Lösungen für Herausforderungen entwickeln zu können. Bei der Nutzung von KI-Technologie in der Pädagogik wird dagegen häufig der Fokus auf personalisiertes Lernen gelegt, weil insbesondere generative Sprachmodelle hier sehr gute Unterstützung leisten können. Mit diesem Blogbeitrag will ich vor diesem Hintergrund zu einer veränderten Schwerpunktsetzung ermutigen: Mehr soziales Lernen – gerade im Kontext von KI!

Der Blogbeitrag ist eine Verschriftlichung eines Impulses, den ich heute am Zentrum für Multimedia in der Lehre an der Universität Bremen gehalten habe.

Was geht schief?

Ich finde es immer hilfreich, auf neue Themen zunächst mit einer ‚Kopfstand-Perspektive‘ zu blicken und sich in diesem Sinne die Frage zu stellen, was schief geht bzw. schief gehen könnte. Daraus lässt sich dann anschließend gut entwickeln, wie man klüger vorgehen könnte. Was geht also schief bei Zusammenarbeit und sozialem Lernen im Kontext von KI?

Mein Eindruck ist, dass KI-Technologie in vielen Fällen einschränkend oder verhindernd auf Zusammenarbeit und soziales Lernen wirkt. Eine funktionierende und schrittweise Gruppenbildung, Austausch untereinander und Offenheit für neue Antworten werden durch die Art und Weise der KI-Nutzung vielfach in den Hintergrund gedrängt. Typische Schwierigkeiten, die auftreten können, sind erstens eine zunehmende Informationsüberflutung, die schon vor der KI-Zeit im Internet zu beobachten war, aber jetzt noch einmal verstärkt wird. Zweitens gibt es viel Misstrauen und Unsicherheit vor dem Hintergrund der Existenz von KI. Viele Menschen fragen sich, ob ein Inhalt KI-generiert ist oder nicht, und sind skeptisch, ob sie einer Veröffentlichung Glauben schenken können. Drittens sind KI-Tools sehr gut darin, Musterlösungen vorzugeben und zu überprüfen, wodurch sich pädagogisch eine Orientierung an vorgegebenen Aufgaben, die dann individualisiert bearbeitet werden können, als sehr attraktiv und zeitsparend erweist.

Vielleicht kennst du in diesem Sinne die eine oder andere der folgenden Situationen so oder so ähnlich aus deiner pädagogischen oder beruflichen Praxis:

  1. Zum Einstieg in ein Lernangebot fragt die Dozentin ChatGPT nach einer prägnanten Definition zum Thema und spielt die Antwort per Audio ein. Alle hören zu.
  2. In einer Gruppenarbeit sollen in einer kollaborativen Schreibumgebung medienpädagogische Herausforderungen im Kontext von KI gesammelt werden. Ein Teilnehmer kopiert die Frage ohne vorherige Absprache bei ChatGPT ein, erhält eine sehr lange Antwort und kopiert diese mit der Anmerkung: „Das sagt ChatGPT dazu: …“ in den Chat. Alle sind dann erst einmal mit dem Lesen dieses generierten Textes beschäftigt. Das potenziert sich weiter, als vom nächsten Teilnehmenden die nächste Antwort reinkopiert wird mit dem Kommentar: „Ich habe von ChatGPT diese Antwort gekriegt: …“
  3. In einem Team-Meeting stellt eine Kollegin einen Konzeptentwurf für eine geplante Veranstaltung vor. Ein Kollege erwidert: „Das hast du dir von ChatGPT schreiben lassen, oder? Das erkenne ich an den genutzten langen Gedankenstrichen.“ Die Kollegin ist verunsichert. Die anderen Personen im Team stellen die Frage, ob man den Tagesordnungspunkt dann besser erst einmal streichen soll bis ein ‚richtiges‘ Konzept vorliegt.
  4. Eine Lehrerin stellt fest, dass der Umfang der Inhalte, die in ihrem persönlichen Lernnetzwerk geteilt werden, immer größer wird. Während es für sie schon immer herausfordernd war, sich in einem Informationsüberfluss zurechtzufinden, wird das jetzt noch schwieriger. Oft merkt sie erst beim Lesen, dass die Inhalte nur sehr oberflächlich und für sie wenig hilfreich sind. Vorher konnte sie sich mehr auf ihr Netzwerk verlassen. Jetzt scheinen viele dem Reiz der schnellen Generierung von Inhalten zu erliegen und teilen weniger mit eigenem Anliegen.
  5. Ein Dozent teilt den Erwartungshorizont für eine inhaltliche Ausarbeitung zu einem Thema. Er hat für die Lernenden auch einen KI-Lerntutor eingerichtet, mit dem sie ihre Texte von einem KI-Modell gegen lesen lassen können, um diesen Erwartungshorizont zu erreichen. Die Lernenden begeben sich nun in Interaktion mit dem Bot. Peer-Feedback ist in dieser Situation nicht mehr gefragt, da der KI-Lerntutor ja kompetenter, objektiver und systematischer zur Musterlösung passendes Feedback geben kann.

Meine These ist, dass solche Verhinderungen von sozialem Lernen nicht wegen der KI-Technologie entstehen, sondern durch eine zum Teil wenig kluge Nutzung von KI-Technologie oder eine fragwürdige Schwerpunktsetzung erfolgen. Es wäre aber auch eine ganz andere KI-Nutzung möglich!

Wie könnte es anders gehen?

Um Alternativen zu einer Austausch-verhindernden bzw. -erschwerenden KI-Nutzung zu finden, lohnt es sich, die obigen Beispiele konkret anzusehen und sich zu überlegen, wie es auch anders gehen könnte. Lass uns das versuchen:

  1. Im Fall des Workshop-Einstiegs mit der Audio-Definition von ChatGPT könnte die Dozentin stattdessen mit einem „Chatgewitter“ Definitionsversuche der Teilnehmenden sammeln. Die Lernenden könnten sich dadurch schon ein wenig kennenlernen und sich Schritt für Schritt ein erstes Bild von dem Thema machen, indem verschiedene Perspektiven zusammenkommen. Anschließend könnte die Dozentin das Einverständnis der Teilnehmenden einholen, um den Chat mit einem KI-Sprachmodell zu teilen, um herauszufinden, welche Perspektiven vielleicht noch fehlen. Die Antwort con ChatGPT zu dieser Frage würde sie dann den Teilnehmenden vorspielen.
  2. Im Fall der Gruppenarbeit zur Sammlung medienpädagogischer Herausforderungen im Kontext von KI könnten die Teilnehmenden sich im Sinne proaktiver Transparenz ganz zu Beginn über eine mögliche KI-Nutzung verständigen. Sie könnten dann gemeinsam zu dem Schluss kommen, dass sie erst einmal bewusst als Gruppe sammeln und vielleicht später Lücken durch ein KI-Sprachmodell zu schließen versuchen. Oder sie könnten sich darauf einigen, dass alle zunächst individuell eine Recherchepause einlegen (wozu dann natürlich auch KI-Technologie genutzt werden könnte). Die für die Beteiligten jeweils wichtigsten Erkenntnisse würden dann anschließend geteilt werden.
  3. Auch im Team-Meeting mit dem präsentierten Konzeptentwurf könnte die Kollegin ihr Konzept im Sinne proaktiver Transparenz direkt einführen, indem sie Hintergründe der Entstehung darstellt. Zum Beispiel: „Ich habe für die Konzepterstellung ChatGPT genutzt. Wichtig war mir dabei Aspekt X und Aspekt Z. Beim Vorschlag des Bots habe ich noch Y angepasst. So bin ich mit dem Konzept jetzt zufrieden. Was meint ihr dazu?“ Alternativ könnte die Konzepterstellung auch mit kollaborativer KI-Nutzung angegangen werden. Die Gruppe könnte gemeinsam überlegen, was sie genau machen will, welcher Kontext wichtig ist – und dann mit dem auf Basis dieser Angaben generierten Konzept eines KI-Sprachmodells gemeinsam weiterarbeiten.
  4. Anstatt KI-Technologie im Sinne einer falsch verstandenen Produktivität zu nutzen und möglichst viele Inhalte zu generieren und zu veröffentlichen, könnte die Lehrerin in ihrem Netzwerk bewusst für die Nutzung von KI als kreatives Werkzeug plädieren. Ihr Vorschlag wäre dann: „Lasst uns KI so nutzen, dass wir zu neuen und spannenden Gedanken kommen und unsere eigenen Anliegen besser bearbeiten können – anstatt einfach möglichst schnell relativ beliebigen Content zu posten.“
  5. Im Fall der personalisierten Lerntutoren könnte der Dozent die Lernenden stattdessen darin unterstützen, besser voneinander und miteinander zu lernen. Es wäre denkbar, einen Bot einzusetzen, der beispielsweise eine Diskussion strukturiert und moderiert und so einen Interaktions- und Austauschraum öffnet.

In all diesen Fällen wird mit proaktiver Transparenz auf die KI-Nutzung eingegangen und auf diese Weise eine Misstrauenskultur zurückgedrängt. Zweitens wird der Fokus bewusst auf Präsenz und soziales Lernen gelegt.

Fünf praktische Empfehlungen

Mit den obigen Beispielen hast du hoffentlich schon viele konkrete Ideen erhalten, wie du soziales Lernen im Kontext von KI realisieren kannst. Etwas systematischer versuche ich meine Überlegungen im Folgenden mit fünf Empfehlungen vorzustellen. Sie folgen jeweils dem Muster: Mehr von … und weniger von …!

1. Fokus auf Materialien für Austausch statt nur zur Inhaltserstellung

KI-Tools sollten nicht nur für die Generierung von Inhalten genutzt werden, sondern auch dafür, den Austausch und die Zusammenarbeit zu fördern. Statt von lehrender Seite vorrangig für Lernende personalisierte Inhalte zu erstellen, sollten besser Methoden, Materialien und Tools entwickelt werden, die Diskussionen anregen, Verbindungen zwischen Menschen stärken und Lernende in Austausch untereinander bringen.

Beispiele:

  • Es werden mehrere fiktive Statements zu einem Thema generiert. Jede Person erhält ein Statement und tauscht sich mit anderen darüber aus, inwieweit sie dem Statement zustimmt. Dann werden die Statements getauscht. Ein Beispiel dazu gibt es hier: KI-Aussagen.
  • Um unterschiedliche Nutzungsvarianten von KI-Sprachmodellen zu erkunden, habe ich die Website AllesKiOderWas.de gestaltet, die Lernende gemeinsam erkunden und eigene Bezeichnungen eintragen können. Auf ähnliche Art und Weise lassen sich mit Unterstützung von KI-Technologie sehr viele Austausch-orientierte Mini-Tools gestalten.
  • Für einen Design-Thinking-Workshop könnte man mehrere unterschiedliche Personas generieren, in die sich die Lernenden zur Ideenentwicklung hineinversetzen können.
2. Bestehendes Wissen nutzen statt immer neu generieren

Anstatt KI-Technologie primär zur Erstellung neuer Inhalte einzusetzen, sollte der Fokus darauf liegen, bestehendes Wissen zu analysieren, zu sortieren und sinnvoll zusammenzuführen. So wird aufeinander aufgebaut und Wissen für alle weiterentwickelt.

Beispiele:

  • Ein Zufallsgenerator zu KI-Blogbeiträgen macht die Inhalte auf meiner Website zugänglicher: Impulse zu KI.
  • Am hilfreichsten zur Vernetzung von Wissen finde ich aktuell das Tool NoteBookLM. Lernende können mehrere Quellen in ein Projekt hochladen und sich gemeinsam Verbindungen und Verknüpfungen zwischen den Quellen erschließen. Meine Erfahrungen dazu sind hier dokumentiert: NotebookLM – Vernetztes Lesen.
3. KI als kreatives Werkzeug vor Automatisierung und Vereinfachung

KI-Technologie wird vielfach als Möglichkeit zur Vereinfachung und Automatisierung vermarktet. „Du musst jetzt nicht mehr selbst einen Projektbericht verfassen, eine Mail beantworten oder ein Protokoll schreiben – all das erledigt KI für dich!“ Während solche Möglichkeiten in vielen Bereichen ihre Berechtigung haben, sind sie oft wenig förderlich für bessere Zusammenarbeit. Sie führen zu einer wachsenden Informationsflut, können Misstrauen hervorrufen und Menschen das Gefühl geben, betrogen zu werden. Hilfreicher ist ein Fokus auf KI-Nutzung als kreatives Werkzeug. In diesem Fall steht das eigene Anliegen im Vordergrund. KI-Technologie wird gezielt genutzt, um neue Perspektiven, Ideen und Möglichkeiten zu entwickeln.

Beispiele:

  • KI-Tools werden nicht zur reinen Textgenerierung genutzt, sondern um Anregungen zur Verbesserung bestehender Texte zu erhalten.
  • KI-Tools dienen als interaktive Spielpartner, mit denen man sich in einen kreativen Prozess mit abwechselnden Spielzügen begibt. So bleibt man immer aktiv beteiligt. Ein Beispiel ist das Spiel Stille Post PingPong, bei dem man sich in unterschiedliche Perspektiven hineinversetzt. Es lassen sich aber auch viele weitere Spiele entwickeln.
4. Soziale statt isolierte KI-Nutzung

Anstatt KI isoliert nur für sich zu nutzen und im schlimmsten Fall die KI-Nutzung gegenüber anderen gezielt zu vertuschen, sollte ein gemeinsamer Prozess stattfinden. Dafür ist es wichtig, die KI-Nutzung proaktiv transparent zu machen und zu thematisieren. So kann KI-Technologie nicht nur ein individuelles, sondern auch ein kollaboratives Werkzeug sein.

Beispiele:

  • Eine Gruppe entwickelt gemeinsam ein Konzept und beschließt, sich Anregungen bei einem KI-Sprachmodell zu holen. Dazu wird gemeinsam ein Prompt formuliert.
  • KI wird als Spielpartnerin für kollaborative Spiele genutzt, z. B. im Spiel Was verbindet uns als Gruppe? oder Mensch gegen Maschine.
  • Ein KI-Sprachmodell kann per Audio in eine Gruppendiskussion eingebunden werden. Wenn die Gruppe nicht mehr weiterkommt, kann das KI-Sprachmodell angesprochen werden, um die Diskussion zusammenzufassen oder eine weiterführende Frage einzubringen.
5. Offenheit für neue Mensch-Maschine-Interaktionen statt Reproduktion

Mit KI-Technologie sollten wir nicht nur alte Arbeitsweisen reproduzieren, sondern auch neue Formen der Zusammenarbeit, des Lehrens und des Lernens ermöglichen. Dazu gehört eine experimentierfreudige Haltung, um innovative Interaktionsformen zwischen Mensch und Maschine zu entdecken.

Beispiel:

  • Seit dem Jahreswechsel gestalte ich die Challenge Kreation 2.0, in der ich genau dieses Ziel verfolge.
  • In meinen KI-Workshops bemühe ich mich, eine erkundende Haltung zu KI vorzuleben und Raum für eigene KI-Erkundungen gemeinsam mit anderen zu schaffen.
Zur Weiternutzung: Mini-Memory-Spiel und erweiterbare Github-Übersicht

Wenn du die Inhalte dieses Blogbeitrags auf einfache und spielerische Art und Weise weiternutzen und erkunden willst, dann eignet sich dazu dieses Memory-Spiel:

Eine komprimierte Zusammenstellung der fünf Vorschläge findest du zur Weiternutzung auf Github. Dort ist auch ein Midwendel verlinkt, in dem du weiterführende Ideen teilen kannst.

Fazit

Ich finde soziales Lernen im Kontext von KI ein gleichermaßen spannendes als auch wichtiges Thema – und freue mich sehr auf weiteres Lernen, Erkunden und Austausch dazu!

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